Seeleneinblicke

Ein Märchen von Gestern und Heute, ein Märchen ohne moralische Deutung, ein Märchen über menschliche Schwächen und Stärken, ein Seeleneinblick.
 
Er ermalte seiner toten Geliebten einen Sarg und überlässt ihr seine Gitarre.
 

Es war einmal ein Junge, der bei seinen leiblichen Eltern aufwuchs. Sein Vater war ein geachteter Heerführer, der seinen Sohn sehr liebte und ihn zu einem Krieger machen wollte. Seine Mutter war eine stille aber gütige Frau, die ganz für die Familie lebte und schaffte. Der Sohn war ein schmächtiger, sehnsüchtiger Junge, der sich insbesondere in den sensibleren Bereichen der Musik wohl fühlte, sein Name war Fussel. Fussel hatte eine große Angst vor dem übermächtigen starken Vater entwickelt. Er wollte doch kein Krieger werden. Er wünschte sich Instrumente, um Musik machen zu können und dabei ein Leben zu führen wie ein Blumenkind. Ohne materielle oder finanzielle Sorgen, ohne Verpflichtungen, um sein Leben ganz nach seinen Bedürfnissen auszurichten. Fussel wurde älter und prallte zusammen mit der realen Umwelt. Die Menschen in seiner Nähe stürzten sich auf ihn und wollte ihn so erleben, wie sie es sich vorstellten. Aus dem Blumenkind sollte, wie sie es auch geworden sind, ein nützliches Glied der Gesellschaft werden. Fussel wehrte sich verzweifelt. Er kämpfte auch ein wenig gegen den übermäßigen Druck der ihn umhüllenden Gesellschaft an, dann floh er! In Spanien fand er eine neue Bleibe. Er lebte mehr schlecht als recht von seiner Musik, hungerte, aber er war einfach glücklich in dieser, seiner eigenen Welt. Dann traf er ein Mädchen, ein Zigeunerkind, ebenso ein Blumenkind wie er es war. Beide stürzten aufeinander zu, verliebten sich ineinander, benötigten sich zum Dasein. Ihre Schwächen waren ihr Nest. Ihre Sorgen, ihr Zusammenhalt. Ihr Glück, ihre momentane kleine Zufriedenheit. Dieses Blumenkind hatte sich ernährt von dem Verkauf von Drogen an andere Blumenkinder. Nun lebten sie gemeinsam von seiner Musik und dem Drogenverkauf. Sie zweigten auch immer wieder kleinere Mengen von der Ware ab, um sich selbst zu versorgen, denn ihre Scheinwelt knisterte und bröckelte ständig in der sie umgebenden Realität von Härte und Kampf.

 

 

So ermalte er seiner toten Geliebten den Eintritt ins Paradies.
 
 


Die Drogen halfen ihnen erst einmal zu vergessen, dann wurden sie eine Forderung, ein Muß in ihrem Leben. Eines Tages im Frühling wachte Fussel morgens auf und seine Geliebte war von ihm gegangen. In der Nacht war sie gestorben. Nichts war mehr wie vorher. Fussel sehnte sich plötzlich wieder zurück nach seiner Mutter. Er floh zurück. Vor dem Grenzübergang verschluckte er fast alle Drogen. Als hilflose Person mußte er von den Medizinern behandelt werden. Das Gericht schickte ihn als Straftäter in den Jugendstrafvollzug. In dieser Welt werden die Schwachen oft zu wehrlosen Opfern gemacht von brutalen und manchmal auch perversen Übeltätern aus ihren eigenen Reihen. Fussel war äußerst selbstmordgefährdet. Er war niemals ein Krieger gewesen, seine Sensibilität war hier wie eine einladende Wunde, die die anderen sahen und auf die sie ihr Salz streuten. Fussel begann in einer ihn beschützenden Umgebung zu malen. Er vollzog Trauerarbeit, in dem er den Verlust seiner Geliebten nachmalte, ihr einen Sarg ermalte und ihren Eintritt ins Paradies in wahrhafter bildhafter Weise nachvollzog..

 

 

 
Das Leben geht weiter. Die Trauerarbeit ist vollzogen. Er sieht sich in der Wunschwelt des Musikers.
 
 

Seine Auseinandersetzungen gingen weiter. Er malte sich in die Wunschrolle des Musikers. Und seine Lebensplanung wurde durch die vielen Gespräche, die mit ihm zu führen waren, auch ihm in erkennbarer Weise ein klein wenig klarer. Er sollte nicht mehr in den Vollzug. Seine Bilder blieben als Mahnmal zurück. Was aus ihm wird oder geworden ist, ist noch unbekannt. Erlebt wurde er als ein Blumenkind, hilflos und schwach - aber er gab einen Seeleneinblick beim kreativen Training.